Sind die Kinder heutzutage völlig verzogen oder werden sie von
ihren egoistischen Eltern einfach nur schlecht behandelt? Suchen Sie sich
Ihre Antwort aus, in der Zeitung oder einer Talk-Show, bei einem Politiker
oder einem Taxifahrer. Als ich kürzlich über den Atlantik reisen
wollte, sagte mir der Taxifahrer, der mich zum Flughafen Heathrow brachte:
"Die heutigen Eltern sind einfach nicht darauf vorbereitet, Kinder
zu haben. Sie denken nur an den Geldbeutel und ans Vergnügen - morgens
zur Arbeit und abends in die Kneipe; die armen Kinder werden gar nicht
mehr erzogen und bleiben völlig sich selbst überlassen ..."
Doch auf dem Weg vom New Yorker Kennedy-Flughafen in die Stadt hörte
ich genau das Gegenteil: "Die heutigen Kinder wissen gar nicht, wie
gut es ihnen geht. Als ich noch ein Junge war, arbeitete ich für das,
was ich bekam, und das war nicht viel. Das kann ich Ihnen sagen. Jetzt
glauben Kinder aus gutem Hause, deren Eltern schuften, um ihnen alles kaufen
zu können, sie könnten machen, was sie wollten ... Lehrer zusammenschlagen,
Frauen vergewaltigen, stehlen."
Die heutigen Eltern ... die Kinder heutzutage ... als ich noch ein Junge
war ... Der gesellschaftliche Diskurs beruht immer auf Aussagen über
vergangene Zeiten und über entlegene Orte, weil so die Gegenwart deutlichere
Konturen gewinnt. Die meisten dieser Aussagen sollten allerdings eher anfangen
mit "Es war einmal" wie in "Es war ein goldenes Zeitalter
der Familie ... das richtige Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten
... eine allgemeine Übereinkunft über gesellschaftliche Werte,
über das, was sich schickt. ..." Gewiß glauben viele Menschen,
daß die Dinge heute schlechter stehen als je zuvor. Doch in jeder
Generation sind immer viele Menschen dieser Auffassung; und unsere Generation
wurde besonders empfänglich für die Einflüsterungen der
Massenmedien.
Eine wahre Flut von Botschaften aus den Medien ist Ausdruck einer Gesellschaft
- oder bringt sie selbst hervor -, die am hemmungslosen Potential des Schreckens
Gefallen findet und zugleich vor sich selbst erschrickt. Scheinbar konkurrieren
Dichtung und Wahrheit, Kommentar und Nachrichten miteinander, uns über
das Undenkbare denken zu lassen und uns in neue Grenzbereiche vorstoßen
zu lassen, die uns in dem Maße herausfordern, wie unsere Toleranz
wächst. Vergewaltigung ist zu einem Thema geworden, bei dem jeder
mitreden kann. Auf diese Weise sind wir jetzt mit Vergewaltigungen durch
einzelne Männer konfrontiert, mit Massenvergewaltigungen und Kindervergewaltigungen.
Jeder muß sich demnach mit Gedanken vertraut machen, daß viele
Kinder in "ganz normalen Familien" mißbraucht werden; doch
rufen Kindesmißbrauch durch Bischöfe und Priester, durch Satansanhänger
und Pornoringe, ja selbst in Einrichtungen zur Betreuung "gefährdeter"
Kinder immer noch tiefe Erschütterung hervor. Und wenn wir meinen,
bei Kindern als Opfer mit dem Äußersten an Schrecken konfrontiert
zu sein, so wird er doch noch schrecklicher, wenn Kinder zu Aggressoren
werden; es geht sogar noch weiter, wenn deren Opfer selbst wieder
Kinder sind. Die Vergewaltigung durch einen Zwölfjährigen kommt
ganz sicher in die Schlagzeilen; vor kurzem erlangte der gewaltsame Tod
eines Zweijährigen in Großbritannien, angeblich durch zwei Zehnjährige,
mehr Publizität als all die zusammengenommen mehr als 100 Kinder und
Jugendliche, die im selben Jahr von Erwachsenen ermordet wurden. Man zeigt
uns Kinder und junge Leute aus jedem beliebigen Elternhaus - Kinder von
Leuten wie du und ich -, die nicht nur in der Schule versagen, sondern
diese auch noch mit Terror überziehen; sie spotten nicht einfach nur
über die Lehrer, sondern greifen sie körperlich an und verletzen
sie; sie machen nicht nur einfach Unfug, sondern geraten völlig außer
Kontrolle, stehlen ein Auto und fahren damit fort, sie brechen ein und
richten Zerstörungen an.
Dies sind reale Bilder realer Ereignisse, doch trotzdem verzerren sie möglicherweise
die Realität, so wie ein Tele-Objektiv den Blick auf eine Landschaft:
Sie heben ausgewählte Details und Kontraste hervor, sie lenken unsere
Aufmerksamkeit vom Drumherum ab, das zwar nicht so dramatisch ist, mit
dem wir uns jedoch mindestens genauso intensiv beschäftigen sollten.
Es ist ebenjenes Drumherum des normalen, alltäglichen Lebens und die
damit verbundenen Erfahrungen, die dieses Buch unter dem weitest möglichen
Blickwinkel erkundet.
Mit eigener Blickwinkel ist keineswegs immer so weit gewesen. Ich habe
mich in meiner zehnjährigen Forschungstätigkeit die meiste Zeit
über mit der Kindesentwicklung beschäftigt und einen Großteil
weiterer zehn Jahre damit verbracht, die Ergebnisse an Eltern weiterzugeben
und sie auch selbst anzuwenden, als ich unsere eigenen beiden Kinder großzog.
Ich glaubte, daß "gute Elternschaft" - jene Art von Erziehung,
die sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch denen der Eltern entspricht
- nichts ist, was akademisch verallgemeinert werden kann. Ich war vielmehr
der Auffassung, es sei etwas, das immer weiterentwickelt werden muß
aus sich ständig wandelnden Interaktion zwischen den heranwachsenden
Kindern und den Erwachsenen, die selbstbewußt genug sind, um auf
sie zu reagieren. Ich glaubte, je mehr Menschen etwas über Kinder
im allgemeinen wüßten, desto mehr würden sie sich vor allem
für ihre eigene Kinder begeistern - und ich war der Meinung, eine
solche Begeisterung für ein Kind sei kein Ersatz für Liebe, könnte
aber um 4 Uhr morgens gleichwohl ausgesprochen hilfreich sein, wenn sich
ansonsten niemanden findet, der einem Liebe entgegenbringt.
Ich glaube immer noch an all das, aber in den letzten zehn Jahren war ich
gezwungen, meinen Horizont zu erweitern. Ich weiß, daß die
meisten Eltern als Einzelpersonen ihr möglichstes tun, um dafür
zu sorgen, daß ihre Babys gesund und glücklich sind, daß
sie wachsen und sich gut entwickeln; sie bemühen sich, dem Bildungssystem
wohlerzogene und umgängliche Kinder zu übergeben und diesen in
der Schulzeit wie auch später beim Eintritt ins Erwachsenenleben zu
helfen. Doch all das, was die Eltern tun können, reicht eindeutig
nicht aus. Worin auch immer das reale Ausmaß und die Vielfalt der
Greuel, die an oder von den Kindern verübt werden, bestehen mag, es
gibt nicht nur Hunderte oder Tausende, sondern weitere Millionen, die gerade
in diesem Augenblick von der westlichen Gesellschaft im Stich gelassen
werden und diese ihrerseits im Stich lassen. Wir überlassen Eltern
die Verantwortung für das Wohl und das Glück ihrer Kinder. Doch
befähigen wir sie auch dazu, ihre Aufgabe gut zu erfüllen?
Dieses Buch belegt, daß unsere Gesellschaft kinderfeindlich ist und
deshalb die Rolle der Eltern so weit abgewertet hat, daß gute Elternschaft
allein nicht nur eine ausgesprochen schwierige Aufgabe darstellt, sondern
letztlich auch nicht mehr ausreicht. Informationen über die Kindesentwicklung
in der Öffentlichkeit zu verbreiten, bleibt weiterhin für einzelne
Personen nützlich. Doch weder vermag die Erziehung allein Kindern
eine bessere Zukunft zu ermöglichen, noch reichen gewalttätige
Eltern als Erklärung für ihre derzeit so schwierige Situation
aus. Wenn eine Firma in Schwierigkeiten gerät, versucht der Aufsichtsrat
die Schuld häufig auf die mangelhafte Ausbildung und Leistung sowie
auf die Gehaltsforderungen der Angestellten zu schieben. Doch wissen die
Anteilseigner nur zu gut, daß Erfolg und Mißerfolg einer Firma
vom Umfang der Investitionen und von einem guten Management abhängt.
Wir alle sind bei den Kindern unserer Gesellschaft Anteilseigner, und es
ist an der Zeit, unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf das zu richten, was
ganz unten in den einzelnen Familien vor sich geht, sondern auch darauf,
was ganz oben in der Gesellschaft als Ganzes geschieht.
Seinen Blick nach oben zu richten heißt, auf Politiker und Meinungsmacher
in der Regierung, im öffentlichen Dienst und in den gesellschaftlichen
Institutionen, in den Medien und in den akademischen Berufen, in den Banken
und der Industrie zu blicken. Das bedeutet allerdings nicht, daß
man sich in diesem Moment etwas anderes als Eltern und Kinder betrachtet.
Die Personen an der Spitze waren allesamt zunächst Kinder, und die
meisten von ihnen wurden später Eltern; doch um den Anforderungen
ihres Berufs gerecht zu werden, wurden sie darin bestärkt, all das
zusammen mit ihren Jeans und ihrem Pullover zu Hause zu lassen und mit
ihrer Geschäftskleidung auch die Gleichgültigkeit zu übernehmen.
Der Vorwurf, Kindern gegenüber gleichgültig zu sein, wie auch
der Hinweis, daß Kinder in der westlichen Welt Schlimmes durchmachen,
wird viele von ihnen kränken. Es tut mir leid, sie zu kränken,
weil ich sicher bin, daß sich die meisten Menschen auf einer persönlichen
Ebene wirklich für Kinder einsetzen und daß nahezu all
jene, die aktiv an der Erziehung beteiligt sind, ihr Äußerstes
tun, um ihren eigenen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Die
Kränkung ist jedoch unvermeidlich, und sie muß betroffen machen;
denn nur so gelangen wir zu tieferen Schichten der Persönlichkeit.
Erst dann können wir anfangen zu verstehen, was falsch gelaufen sein
mag, und neu darüber nachdenken, was die richtige Richtung sein könnte.
Auf einer persönlichen Ebene ist die Geburt eines gesunden Kindes
in westlichen Gesellschaften genauso wie überall auf der Welt ein
Grund zum Feiern, und es geschieht aus denselben Gründen. Das Überleben
der Kinder hängt von den Erwachsenen ab; und so hängt auch das
Überleben des Menschen als Rasse wie schon immer davon ab, daß
es Frauen und Männer gibt, die Kinder wollen und die sich um sie kümmern.
Kinder haben wir nicht um ihrer selbst willen, sondern unseretwegen. Mütter
und Väter aus vielen Kulturen fassen ihre Gründe für den
Kinderwunsch in Worten zusammen, die sich am besten mit "aus Freude
und zum Spaß" wiedergeben lassen. Geburt und Gesundheit eines
Kindes sind jedoch nicht nur eine individuelle Angelegenheit. Das Neugeborene
richtet seine durch und durch blauen Augen auf etwas, was unabhängig
ist von Raum und Zeit, von Kultur und ethnischer Zugehörigkeit, was
schlicht und einfach menschlich ist; dieses Baby sieht nichts Wesentliches
außer dem Gesicht seiner Mutter. Aber seine Eltern oder die Elternfiguren
werden lediglich vordergründig etwas mit seinem späteren Lebensstil
und seinen Chancen zu tun haben. Was Eltern tun - oder was sie tun können,
hängt davon ab, was die Gesellschaft erlaubt, wozu sie ihre Zustimmung
gibt und was sie anordnet.
Verglichen mit anderen Zeiten und Gegenden haben es die Neugeborenen und
ihre Eltern in den postindustriellen westlichen Gesellschaften gut. Sie
sind die Erben einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Geburt und
damit zusammenhängenden "Frauenfragen", die bis ins neunzehnte
Jahrhundert zurückreicht und uns eine beachtliche und zunehmende Kontrolle
darüber verleiht, ob wir Kinder hervorbringen. Eltern können
sich für Qualität anstelle von Quantität entscheiden. Wir
können die Empfängnis verhüten, ohne unsere sexuelle Aktivität
einzuschränken; durch eine Fülle von Verfahren, von der einfachen
künstlichen bis zur ausgefeilten Befruchtung im Reagenzglas, können
wir günstige Bedingungen für die Empfängnis schaffen. Wir
können die Qualität eines Fötus kontrollieren, indem wir
diagnostische Verfahren in der Gebärmutter anwenden und indem wir
abtreiben - oder sogar chirurgisch etwas verändern -, falls die Entwicklung
des Fötus nicht unseren Standards entspricht. Wir können eingreifen,
um sicherzustellen, daß eine Frau bei einem gefährlichen Zustand
während der Wehen überlebt; wir können eine intensivmedizinische
Betreuung wie auch Methoden der Kinderchirurgie einsetzen, um Babys zu
retten, die zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort niemals lebensfähig
gewesen wären. Babys werden wohlbehalten von Müttern auf die
Welt gebracht, deren körperliche und seelische Gesundheit nicht durch
zu frühe und wiederholte Schwangerschaften oder durch die Angst vor
der Schwangerschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und sie haben Väter,
die nicht dadurch überlastet sind, daß sie Münder stopfen
müssen oder daß sie Angst davor haben, es nicht zu können.
Babys in der westlichen Welt haben die besten Ausgangsbedingungen.
Trotzdem ist ein guter Anfang auch nur ein Anfang. Weil die westlichen
Gesellschaften sich auf den Beginn des Lebens konzentrieren, verstehen
sie sich weit weniger gut auf die späteren Bedürfnisse. Die Grenzen
der Medizin als Wissenschaft und der damit zusammenhängenden Technologie
erweitern sich ständig, ohne daß damit ein entsprechendes Interesse
an den Sozialwissenschaften und den Beziehungen zwischen den Menschen verbunden
wäre. Wir wissen viel mehr über die Biologie der Fortpflanzung
und darüber, was genetisch vor sich geht, wenn wir Eltern werden,
als über die sozialen, emotionalen und psychologischen Einflußfaktoren
auf die Elternschaft. Wir geben viel mehr Forschungsmittel dafür aus,
körperlich gesunde Babys hervorzubringen, als dafür, emotional
stabile Kinder großzuziehen. Während Familienplanung, künstliche
Babynahrung und eine Fülle von Hilfen für die Kinderbetreuung
die Belastungen durch die herkömmliche Mutterrolle in entscheidender
Weise abgebaut haben, hat diese Rolle selbst an Bedeutung verloren, ohe
daß an ihre Stelle eine braucbare neue Struktur der Geschlechterrollen
und -beziehungen getreten wäre. Was wir jetzt brauchen, kann weder
durch weiteren wissenschaftlichen Fortschritt noch durch neue eher technische
Bestimmungen automatisch geschaffen wird: eine Neubeurteilung des Stellenwerts
der Eltern sowie neue Ansätze zu einer weitergehenden Kinderbetreuung
und -erziehung in einer und für eine Gesellschaft im Wandel.
Wir müssen uns selbst daran erinnern, daß Kinder eine intensive,
persönliche und lang andauernde Betreuung brauchen. Babys müssen
gefüttert, warm gehalten und beschützt werden, und wir sind durchaus
dazu in der Lage. Wenn sie jedoch lediglich eine physische Betreuung bekommen,
können viele sich nicht entwickeln und einige sterben sogar. Es bereitet
nicht einfach nur Freude, eine liebevolle Interaktion mit wenigen vertrauten
Personen aufzubauen - es ist geradezu eine notwendige Voraussetzung für
gute Gesundheit und gute Entwicklung. Und doch gehen wir eher sparsam damit
um. Das Ende der Kleinkindphase verändert zwar das notwendige Engagement
der Eltern oder ihrer Stellvertreter, aber es ist damit noch lange nicht
überflüssig. Kinder unter sieben Jahren brauchen weiterhin den
ständigen Schutz eines Erwachsenen. Neben der Entwicklung moralischer
Vorstellungen und des guten Benehmens werden in der mittleren Phase der
Kindheit weitere Überlebens- und Lebenstechniken gelernt. Und selbst
dann, beim Übergang zur Pubertät, brauchen Kinder noch mindestens
fünf weitere Jahre dazu, diese Fähigkeiten auszubilden, Jahre,
die durch Körperwachstum und intellektuelle wie auch soziale Reifung
gekennzeichnet sind. Die Jugendlichen können dann damit beginnen,
die Rolle von Erwachsenen innerhalb des Wertesystems ihrer jeweiligen Kultur
einzunehmen. Wie weit auch immer die Eltern und ihre Stellvertreter ihre
Aufgabe an andere Betreuer und an Bildungseinrichtungen abgeben: ihr Einsatz
während jeder Stufe dieser lang andauernden Kindheit des Menschen
ist nicht zuletzt deshalb von entscheidender Bedeutung, weil es die Eltern
als Individuen sind, die am leidenschaftlichsten den Bedürfnisse ihrer
eigenen Kinder gerecht werden wollen; und unter anderem ist es gerade diese
Leidenschaft, die wir besonders dringend brauchen.
In diesen letzten Jahren des 20. Jahrhunderts sind die westlichen Staaten
sehr wohl in der Lage, mit Hilfe von Regierungen und Institutionen, von
Meinungsmachern und Medien den Eltern zu helfen und sie zu stützen;
doch sie leisten weit weniger, als sie könnten. Nie zuvor haben wir
uns eines größeren Reichtums und einer größtern Produktivität
erfreut, wir besitzen das fortgeschrittenste Gesundheitssystem, ein umfassendes
Bildungssystem und ein weit gespanntes Kommunikationnetz. Dies bedeutet,
daß wir einen großen Entscheidungs- und Handlungsspielraum
haben, und es bedeutet weiterhin, daß wir Informationen zur Hand
haben, die uns zeigen, wie wir unsere Spielräume nutzen können.
Umfangreiche Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß kinderfreundliche
Entscheidungen nicht nur die Situation heutiger Kinder und ihrer Eltern
verbessern würden, sondern auch die der Kinder und Eltern von gestern
und von morgen. Für jeden einzelnen brächten sie eine Verbesserung
der besonders unbefriedigenden Aspekte der westlichen Lebensweise mit sich.
Wie lange noch werden wir all diese Befunde nicht zur Kenntnis nehmen,
während wir uns gleichzeitig über die "heutigen Eltern"
wie auch die "heutigen Kinder" beklagen und uns nostalgisch nach
einer unbestimmten Vergangenheit sehnen, als die Familienwerte noch etwas
wert waren.
Sollten die gegenwärtig Mächtigen je anerkennen, daß dringend
Entscheidungen zugunsten der Kinder gefällt werden müssen, und
sollten sie mit den Ergebnissen ihrer eigenen Versäumnisse bei diesen
Entscheidungen konfrontiert werden, so werden sie zunächst einmal
von ihrem hohen moralischen Podest heruntersteigen und ihre Annahme fallenlassen
müssen, daß die heutigen Kinder "es noch nie so gut hatten".
Natürlich geht es Kindern in postindustriellen westlichen Gesellschaften
im Verhältnis besser als Kindern, die sich zusammen mit ihren Eltern
auf den Baumwollplantagen und in den amerikanischen und britischen Fabriken
des neunzehnten Jahrhunderts abrackerten, oder denen, die in gerade industrialisierten
Ländern in den Ausbeuterbetrieben der großen Städte arbeiten.
Selbstverständlich ist die Welt unserer Kinder derartig privilegiert,
daß Millionen von Menschen in den Dörfern der Entwicklungsländer
nur davon träumen könnten. Und natürlich können wir
unseren Umgang mit Kindern als menschlich und respektvoll betrachten, wenn
wir sie mit der Art und Weise vergleichen, wie Kinder in einer Orgie "ethnischer
Säuberung" durch Osteuropa getrieben oder in Brasilien wie Gesindel
erschossen werden. Doch gute Ratschläge im nachhinein und Werturteile,
die besagen, daß die Lebensbedingungen für die meisten Kinder
hier und jetzt besser sind als anderswo oder zu anderen Zeiten, sind hohles
Gerede. Gewiß ist es für jede Gesellschaft moralisch unbedingt
erforderlich, angesichts der jeweiligen konkreten Umstände das Bestmögliche
als Reaktion zu tun. Es besser zu machen als andere Gesellschaften, die
weniger gut dastehen, ist noch lange kein Grund für Selbstgefälligkeit.
Die Vergleiche, auf die es ankommt und die mich aufbringen, sind die zwischen
dem, wie die Dinge für unsere Kinder stehen, und dem, wie sie stehen
könnten. Wenn wir diese Vergleiche anstellen, ziehen wir uns selbst
das moralische Podest unter den Füßen weg, denn unsere Gesellschaft
könnte so viel mehr für Kinder tun.
Welche der Entwicklungen in der modernen westlichen Welt sind kinderfeindlich?
Wie verzerren diese Entwicklungstrends Politik und Praxis in Bereichen,
in denen es um wohlbekannte Bedürfnissen von Eltern und Kindern geht?
Wie könnten wir es in der Praxis besser machen?
Dies sind die drei großen Fragen, die in den drei Teilen des vorliegenden
Buch nacheinander angesprochen werden.
© Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Danksagung
Einleitung
Teil 1: Eltern und Gesellschaft
Kapitel 1: Menschen, Eltern und Profite
Familien in westlichen Gesellschaften
Kinderbetreuung in der Kernfamilie
Wohnung und Arbeit
Arbeit und Kinderbetreuung
Die postindustrielle Kinderwelt
Die postindustrielle Welt der Eltern
Kinderbetreuung am Scheideweg
Ein Blick nach vorne
Teil 2: Kinder und Eltern
Kapitel 2: Mutter, Vater oder Elternteil?
Kapitel 3: Die Zeit nach der Geburt
Geburt und Bindung
Stillen
Schlafen und Schreien
Kapitel 4: Kinderbetreuung: Träume und Alpträume
Kinderbetreuung: Weitere Diskussionspunkte für eine andere Debatte
Frage Nr. 1: Was wollen die Eltern?
Frage Nr. 2: Welche Einflußfaktoren gibt es in Richtung auf eine
allumfassende Kinderbetreuung?
Frage Nr. 3: Welche Art von Kinderbetreuung?
Frage Nr. 4: Was brauchen kleine Kinder ?
Warum die kontinuierliche, individuelle Betreuung für Babys so wichtig
ist
Warum Kindergärten und Tagesstätten nur selten den Bedürfnissen
der Kleinkinder entsprechen
Wenn aus kleinen Kindern Trotzkinder werden
Frage Nr. 5: Wie bekommt man die Einzelbetreuung für ein Kind?
Frage Nr. 6: Betreuung durch die eigene Familie ?
Neue Modelle für eine neue Diskussion: Schweden
Kapitel 5: Es braucht Zeit, bis ein Kind groß ist
Kapitel 6: Disziplin, Selbstdisziplin und gutes Benehmen
Kapitel 7: Die Vorschuljahre: Lernen und Unterricht, Erziehung und Schule
Kapitel 8: Sieben Jahre und danach:
Die Zeit, von der wir keine Notiz nehmen
Teil 3: Kinder müssen Vorrang haben
Einleitung
Kapitel 9: Neue Ansätze angesichts von Armut und Überprivilegierung
Vorrang für die Kinder
Vorrang für Kinder und Eltern
Kapitel 10: Neue Ansätze zur Frage der Menschenrechte für Kinder
Kinder als Outgroup
Kinderrechte im politischen Kontext
Kinder und das Gesetz
Wie weit geht bei einem Kind die körperliche Eigenständigkeit,
und was weiß die Gesellschaft vom Kindesmißbrauch?
Der Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und den kindlichen Bedürfnissen
Kapitel 11: Neue Ansätze zur Frage von Arbeit und Kinderbetreuung
Wie man es zusammenbringt, Eltern zu sein und Geld zu verdienen
Kapitel 12: Neue Ansätze zu praktischen Fragen des Elterndaseins
Die Vorbereitung auf die Elternrolle
Eine positive Einstellung zum Elterndasein
Frische neue Ansätze zur Kinderbetreuung
Schwerpunkt Elternhaus
Schwerpunkt Kinderbetreuung
Schwerpunkt Arbeit
Ein optimistischer Blick in die Zukunft
Nachwort zur deutschen Ausgabe
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Register